„Liebe Extrovertierte, bitte hört auf damit, uns aufzufordern, doch auch mal was zu sagen.“

Solche Bitten höre und lese ich von Introvertierten immer wieder. Sie geben den Extrovertierten die Schuld daran, dass sie gestresst oder genervt sind. Würden sich die Extros anders verhalten, ginge es ihnen besser.

Obwohl ich selbst introvertiert bin, stimme ich solchen Bitten nicht zu.

Als leiser Mensch in einer lauten Welt

Ich weiß, dass in unserer Gesellschaft extrovertierte Eigenschaften geschätzt werden. Wem es leicht fällt, neue Kontakte zu knüpfen und wer gerne redet, hat es in einigen Bereichen leichter. Das ist für extrovertierte Menschen somit zwar ein Vorteil, dennoch haben sie sich dieses Persönlichkeitsmerkmal genauso wenig ausgesucht wie du oder ich.

Was bedeutet das für den Umgang miteinander?
Wenn du dir Verständnis von Extrovertierten für deine Bedürfnisse wünschst, solltest du dieses auch ihren gegenüber entgegenbringen.

Sie fordern dich nicht zum Reden auf, um dich zu ärgern, sondern weil es ihrem Bedürfnis nach Kontakt und Kommunikation entspricht. Du bist ja auch nicht ruhig, um ihnen eins auszuwischen, sondern weil es deinem Bedürfnis nach Beobachten und Zuhören entspricht.

Den anderen umerziehen zu wollen, führt nicht zum gewünschten Erfolg. Du erreichst dadurch nur Widerstand. Die Veränderung beginnt bei der Person, die du  beeinflussen kannst: dir selbst.

Was kannst du tun?

Komm aus dem Schwarz-Weiß Denken heraus, denn damit bremst du dich aus. Übe dich stattdessen in Neugier, indem du versuchst, die Beweggründe des anderen zu erkennen.

=> Wie oft fühlst du dich angegriffen oder unterstellst dem anderen böse Absichten.
=> Wie oft fühlst du dich verletzt oder unverstanden, obwohl du selbst nicht bereit bist, den anderen verstehen zu wollen.

Frage dich, welches Bedürfnis sich hinter dem Verhalten deines Gegenübers versteckt. Sehnt er sich nach Verbindung? Nach Kommunikation? Nach Bestätigung? Nach Zuspruch?

Es geht erst einmal nur darum zu verstehen, dass jeder von uns durch seine Bedürfnisse gesteuert wird. Es bedeutet nicht, dass du das damit verbundene Verhalten gutheißen musst.

Lass mich das mit einem Beispiel aus der Tierwelt verdeutlichen. 

Ein Hund hat einen Knochen und knurrt, als du dich ihm näherst. Das Knurren ist das Verhalten, aber was ist das Bedürfnis? Er will, dass du Abstand hältst, er wünscht sich Distanz. Wenn du das Knurren als persönlichen Angriff empfindest, nimmst du dir die Sicht auf das, was sich hinter dem Verhalten verbirgt und reagierst emotional.

Hilfreicher ist es, sein Bedürfnis nach Distanz zu verstehen und einen anderen Weg zu finden, wie er dieses befriedigen kann. Statt dich anzuknurren, könnte dein Hund beispielsweise lernen, wegzugehen.

Das ist die eine Seite der Medaille, aber wo bleibst du?
Vielleicht hast du gerade das Bedürfnis nach Nähe zu deinem Hund. Das lässt sich in diesem Moment aber nicht erfüllen. Eure Bedürfnisse kollidieren. So ist das Leben. Nicht immer ist es möglich, jedem Beteiligten gerecht zu werden. Manchmal ist es notwendig, einen Kompromiss oder eine Alternative zu finden. Manchmal bleibt ein Bedürfnis auch unerfüllt.

Zurück in die Welt der Zweibeiner. 
Es ist wichtig, dir deiner Stärken und Bedürfnisse bewusst zu sein und diese deinen Mitmenschen gegenüber zu kommunizieren. Du kannst nicht  erwarten, dass sie deine Gedanken lesen können oder  „doch gefälligst wissen sollten“ wie du tickst.

Wenn dir jemand ein Ohr abquatscht und dir das zu viel ist, kannst du genau das sagen. „Ich brauche gerade meine Ruhe und möchte mich jetzt nicht unterhalten.“

Zur Kommunikation gehört es also auch, Grenzen ziehen und Nein sagen zu können. Dazu brauchst du aber kein Rundschreiben an alle Extros dieser Welt mit einer Bedienungsanleitung für Intros senden.

Fazit

Das Verständnis bildet die Grundlage, um offen für den anderen zu bleiben anstatt ihn zu verurteilen. Nur so lassen sich Lösungen finden, die beiden Seiten gerecht werden. Extro- und Introvertierte können sich wunderbar ergänzen, wenn sie ihre Unterschiede akzeptieren und schätzen.

Hinweis

Der Schwerpunkt meiner Arbeit hat sich geändert.
Ich unterstütze jetzt Menschen mit Hunden aus dem Tierschutz, ihre individuellen Probleme im Zusammenleben gelassen zu meistern – gewaltfrei und positiv. Hier erfährst du dazu mehr.